"Ein Kindergarten für alle Kinder" - Zwischenbericht FaBi

4. Entwicklungen außerhalb des Landkreis Reutlingen Regionale Veranstaltungen des LWV


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Im folgenden werden die Diskussionen von zwei regionalen Veranstaltungen des LWV dargestellt, die einen ersten Einblick über die Erfahrungen mit den Richtlinien an anderen Orten ermöglichen. Von Seiten der wissenschaftlichen Begleitung wurden Gespräche mit einigen ExpertInnen aus Baden-Württemberg geführt, die am Ende des Projekts über eine "Landesschau" mit einbezogen werden.

4.1 Partizipation der Praxis - Zur konzeptionellen Gestaltung des Erfahrungsaustauschs in den Regionen des Landwohlfahrtsverbands Württemberg-Hohenzollern

Die Veranstaltungen des LWV mit Sozialämtern, Jugendämtern und Beratungsstellen bieten einen strukturellen Rahmen für die Einbindung der Praxis in die Reflexion und Fortschreibung der Richtlinien. Die konzeptionelle Gestaltung der Veranstaltungen ermöglicht der Praxis, ihre Erfahrungen mit den Richtlinien zu artikulieren. Dies zeigt sich konkret daran, dass die Erfahrungen aus der Praxis mit in die Vorträge aufgenommen, die Vorträge kurz und selbstkritisch gehalten und viel Zeit zur Diskussion freigehalten wurde.
Die Folge war, dass die Veranstaltungen von den BesucherInnen sehr stark genutzt wurden, um Fragestellungen und kritische Erfahrungen sowie Verbesserungsmöglichkeiten einzubringen.

Aus der Fragerunde und Diskussion lassen sich in Bezug auf den Bereich Kindergarten folgende Erfahrungen festhalten, die sich bezüglich der Rolle der Assistentinnen, des Qualifizierungsbedarfs von Erzieherinnen und arbeitsrechtlichen Fragestellungen mit den Erfahrungen in Reutlingen decken:

4.2 Erfahrungen der TeilnehmerInnen

Strukturelle Vorgaben zur Gruppengröße
Gruppen, die Kinder mit Assistenzbedarf aufnehmen, sollten die Gruppengröße von 25 Kinder nicht überschreiten - so die Empfehlungen des Landeswohlfahrtsverbandes. Einige Anfragen lassen erkennen, dass Träger keine Grenzen setzen und auch in Gruppen mit 31 Kindern Eingliederungshilfe gewähren.

Die Richtlinien setzen und bauen auf ein hohes Maß an selbstverantwortliches Handeln von Trägern. Es ist daher nicht immer auszuschließen, dass Träger die Rahmenbedingungen nicht zur Verfügung stellen, um eine gute Integrationsarbeit zu ermöglichen. Die Empfehlungen zur Gruppengröße sind nicht rechtsverbindlich und können daher bisher nicht eingefordert werden.

Arbeitsrechtliche Fragestellungen

Integrative Hilfen und die damit verbundenen Vorstellungen von Integration von Kindern mit Assistenzbedarf sind für manche Träger nicht das zentrale Thema und Problem. Sie würden die Kinder gerne in ihre Gruppen aufnehmen, scheuen aber den Verwaltungsaufwand und die arbeitsrechtliche Vertragslage.

Wie können hierzu Arbeitsverträge, die ohne Risiko für den Arbeitgeber und doch mit Standards für die InklusionsassistentInnen ausgestattet sind, entwickelt werden?

Kindergartenträger

Aus den Fragen an die Träger wird deutlich, dass diesen eine sehr hohe Bedeutung zukommt, wie sie die integrativen Zuschüsse über Landesmittel und die Eingliederungshilfen in ihre Konzeptionen einbinden. Dabei stellt sich die Frage:

  1. Welchen Anteil übernehmen die Träger an integrativen Prozessen?
  2. Welche Reduzierungen nehmen Kindergartenträger konkret vor in Gruppen, die eine Betriebserlaubnis für Integrative Gruppen erhalten? Wird das Personal über 1.5 Stellen gefahren oder die Gruppe verkleinert?

 

Personeller Einsatz der AssistentIn und Besuchszeiten des Kindes

Einige Beispiele zeigen auch, dass Kinder mit Assistenzbedarf nur dann den Kindergarten besuchen können, wenn die Assistentin anwesend ist; konkret heißt dies, wenn eine Assistentin 10 Stunde pro Woche in der Gruppe ist, kann das Kind auch nur in diesem Zeitraum den Kindergarten besuchen. Das ist kein Einzelfall und wird nach Aussagen von Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen von Seiten der Träger damit begründet, dass ErzieherInnen Angst vor den Konsequenzen der Aufsichtspflicht haben und deshalb die Kinder nur kommen können, wenn die AssistentIn auch da ist.

Im großen und ganzen entsteht der Eindruck bei den Gesprächen, dass diese Form von Integrationsverständnis von der überwiegenden Zahl der TeilnehmerInnen nicht geteilt wird.

Wie können Träger überzeugt werden, dass ein Kind mit Assistenzbedarf das gleiche Recht zusteht und beschränkte Besuchszeiten integrative Prozesse hemmen?
Außerdem: Die Information über die Richtlinien sind bei den Trägern z.T. nicht bekannt oder werden unzulänglich ausgelegt. Infos, wie z.B. die Eingliederungshilfen werden auch während der Ferienzeit bezahlt oder können auch über ein Jahr hinaus bewilligt werden (Manche Sozialämter bewilligen nur 11 Monate und streichen den 12. Monat als Ferienmonat. -> Dies ist - so die VertreterInnen des LWV nicht Absicht und Wille des LWV.)

Definition und Förderung von Integrationsgruppen

Es besteht in den Gesprächsrunden Übereinstimmung, dass die bisherige ausschließliche Unterstützung des Halbstagskindergartens und Regelkindergartens keine umfassende Basis der Förderung bietet. Landkreise und Einrichtungen, die überwiegend verlängerte Öffnungszeiten anbieten, werden durch diese Regelung benachteiligt.
Was sind die Zieleinrichtungen der Eingliederungshilfe? In beiden Gesprächsgruppen besteht Übereinstimmung, dass die Eingliederungshilfe nicht nur für den Regelkindergarten gelten kann und eine Ausdehnung auf unter 3 Jährige in Horten etc. sinnvoll erachtet wird.

Die VertreterInnen des LWV sehen hier auch einen Veränderungsbedarf bei der Fortschreibung der Richtlinien: Die Öffnung für alle Formen der Betreuung soll angestrebt werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage: Welche nicht-stigmatisierende Formen der Förderung können entwickelt werden, um die Integration von Kindern, die von Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind, zu ermöglichen?
Erzieherinnen
Der Bedarf an Weiterqualifizierung wird von einigen TeilnehmerInnen gefordert und deckt sich mit den Erfahrungen des LWV. Hier besteht ein großer Nachholbedarf.

AssistentInnen

Von Seiten der Beteiligten werden drei Dimensionen angesprochen, die mit einer qualitativen Assistenz verbunden sind: Erstens: Von Fachdiensten wird betont, dass die AssistentInnen eine Beratung und Begleitung benötigen, die aber mit Hilfe der Pauschalen der Eingliederungshilfen nicht finanziert werden können. Zweitens: Die IntegrationsassistentIn braucht besondere Kompetenzen, um den Kontakt zu dem Kind herzustellen, das Kind in die Gruppe zu integrieren und mit den Erzieherinnen und Eltern zusammenzuarbeiten. Drittens: TeilnehmerInnen begrüssen den Einsatz von unterschiedlichen päd./pfleg. Kräften. Die scharfe Trennung von Pädagogik und Pflege ist schwierig.

Verfahrensformen: Entscheidungsstrukturen und -prozesse

Die Gewährung von Eingliederungshilfen unterliegt unterschiedlichen Verfahrensformen. Während einige Träger und Beratungsstellen "Runde Tische" voraussetzen, sind sie anderswo eine Seltenheit.
Im Zuge von Transparenz, Partizipation und Kooperation bestätigen viele TeilnehmerInnen die positiven Auswirkungen von "Runden Tischen". Der zeitliche Aufwand lohnt sich, weil eine Klarheit über Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen in der Regel einen positiven Einfluß auf den Verlauf der Eingliederung mit sich bringt.

Beantragungszeit

Einige VertreterInnen monieren den langen Zeitraum bis zur Bewilligung von Eingliederungshilfen. Dabei sind die örtlichen Sozialämter die Stellen, an denen die Anträge liegen bleiben.


Frühförderstellen
Frühförderstellen sehen mit der Einführung der Richtlinien eine Mehrbelastung auf sich zukommen. Einzelne VertreterInnen von Frühförderstellen berichten, dass zuständige Schulämter bei Gewährung von Eingliederungshilfen versuchen, die FrühförderInnen aus der Arbeit herauszuziehen.

Die VertreterInnen des LWV betonen die Bedeutung der Frühförderstelle als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Beteiligten. In der Regel sind die MitarbeiterInnen der Frühförderstellen vor der Eingliederungsmaßnahme in den Familien und kennen die Kinder, so dass ihre Kompetenz dringend einbezogen werden muß und auch mit der Gewährung von Eingliederungshilfen keinen Abschluß finden kann.

Unklarheiten bestehen über die Gewährung verschiedener Hilfen. Die Gewährung von Eingliederungshilfe bedeutet nicht, dass dadurch automatisch die Frühforderung gestrichen wird. Die Leistungen bestehen unabhängig voneinander.

4.3 LWV-Politik - Integrativer Transfer in die Politik

Bei den Veranstaltungen wird von TeilnehmerInnen der Wunsch geäußert, dass der LWV die Förderung integrativer Maßnahmen in Kindergarten und Schule in den politischen Willensbildungsprozeß sowie bei der Neubestimmung des Kindergartengesetzes und bei der Fortschreibung der Eingliederungshilfen vehement vertreten solle.

Kontrolle versus Vertrauen
Grundsätze bei Gewährung von Hilfen, wie z. B. bei Integrativen Gruppen und Eingliederungshilfen. Für manche VertreterInnen - vor allem von seiten der bisherigen Entscheidungsträgern (Sozialamt) - sind die Möglichkeiten von zusätzlichen Mitteln (Integrative Gruppen, Eingliederungshilfen) zu wenig kontrolliert.
Zunächst ist positiv zu vermerken, dass die Kooperation und auch ein Vertrauen gegenüber den Trägern im Vordergrund des LWVs steht und keine bürokratischen Barrieren aufgebaut werden. Die integrativen Zielsetzungen des LWV´s stehen; sie schaffen Möglichkeitsräume und bringen die Diskussionen um Integration in Bewegung.

4.4 Fazit zu den Veranstaltungen

Aus den beiden Veranstaltungen sowie aus einer weiteren Tagung der GEW zur Integration im Kindergarten in Stuttgart zeichnen sich folgende wesentlichen Botschaften ab:

  1. Die Situationen vor Ort müssen gestaltet werden. Die Zusammenarbeit bedarf einer Regelung, die in Form z. B. "Runden Tischen" eine passgenaue und konsensfähige Gestaltung der Teilhabe entwickelt. Hier stellt sich die Frage, ob Runde Tische nicht generell eingerichtet werden, um Entscheidungsprozesse transparent zu gestalten und die Vernetzung der Zusammenarbeit zu installieren.

  2. Die Eingliederungshilfen müssen als ein Baustein begriffen werden, der die Möglichkeit von integrativen Kindergärten und Schulen unterstützt, aber als einzige Maßnahme inhaltlich und finanziell nicht ausreicht. Wie können die Strukturen vor Ort so entwickelt und vernetzt werden, dass Eingliederungshilfen optimal genutzt und als Teil eines Integrationssystems zum Tragen kommen?

  3. Die Qualifizierung von ErzieherInnen ist sowohl vom Bedarf als auch von der Notwendigkeit einer integrativen Ausrichtung der Kindergärten her zu gewährleisten. Die Entwicklung von Fortbildungsveranstaltungen zur Bewußtseinsentwicklung im Bereich integrativer Erziehung ist wünschenswert.

  4. Die Integration von Kindern mit Assistenzbedarf sollte nicht von Organisationsformen der Einrichtungen abhängig sein, sondern eine generelle Bezuschussung für integrationsfördernde Einrichtungen angestrebt werden.

  5. Aus den Gesprächen wird auch sichtbar, dass auch nach einem Jahr der Einführung der Richtlinien noch ein Informationsbedarf besteht und deshalb weitere Veranstaltungen zur Integration im Kindergarten und zur Umsetzung der Richtlinien notwendig sind.